Wie klang Deutsch im Mittelalter?

in diesem Beitrag erkläre ich dir die wichtigsten Regeln des Mittelhochdeutschen und wir klären die Frage: Wie klang Deutsch im Mittelalter?

6/1/2025

Wenn du wissen möchtest, was das bedeutet, dann bleib‘ jetzt dran! Denn in diesem Video erkläre ich dir kurz und einfach die wichtigsten Regeln des Mittelhochdeutschen und wir beantworten die Frage: Wie klingt Deutsch eigentlich im Mittelalter?

Wie klingt Mittelhochdeutsch?

Weil es leichter ist, anhand von Textbeispielen zu lernen, habe ich dir hier mal einen kurzen Ausschnitt aus Hartmann von Aues höfischem Roman "Erec" (1180/90) abgetippt:

Das Phonographische Prinzip

So, das Wichtigste zuerst: Mittelhochdeutsch folgt sehr viel radikaler als unsere Gegenwartssprache dem sogenannten phonographischen Prinzip. Das heißt, ein mittelhochdeutscher Text wird in aller Regel genau so ausgesprochen, wie er geschrieben wird – beziehungsweise eigentlich umgekehrt: Mittelhochdeutsch wird geschrieben, wie es gesprochen wird. Denn im Mittelalter folgte die Schriftsprache noch stärker der Mündlichkeit, weshalb dialektale Eigenheiten und uneinheitliche Schreibungen an der Tagesordnung waren. In der Handschriftenkultur gleicht daher wortwörtlich „wortwörtlich“ kein Text dem anderen!

Auf Basis dieses obersten Prinzips erschließen wir uns nun die übrigen Ausspracheregeln des Mittelhochdeutschen.

Vokale

Zuerst einmal wären da die Vokale: Sofern diese kein Zirkumflex tragen – damit ist dieses kleine Dach hier gemeint – werden alle Vokale kurz ausgesprochen. Das kannst du zum Beispiel im Namen unseres Ritters „Êrec“ (V. 768) beobachten. Hier wird ein „E“ lang und ein „e“ kurz betont.

Umlaute

Auch die Umlaute „ä, ö und ü“ werden regulär kurz gesprochen.

Ligaturen

Dafür gibt es, anders als im heutigen Neuhochdeutschen, zusätzlich sogenannte Ligaturen, nämlich „ae, oe und iu“ – Vorsicht, die Kombination aus „i“ und „u“ spricht man nicht „iu“, sondern „ü“! Diese Ligaturen sind regelmäßig lang betonte Umlaute, wie zum Beispiel in „diu“ in Vers 761.

Diphthonge

Diphthonge wiederum, also Doppelvokale, werden im Mittelhochdeutschen noch wie zwei einzelne Vokale ausgesprochen. Das „ie“ in „die“ (V. 780) zum Beispiel wird nicht wie heute als langes „i“ ausgesprochen, sondern eben als „i“ und „e“. Ähnlich funktioniert das bei den Diphthongen „ei“, „ou“, „uo“ und „üe“.

s-Laute

Was ebenfalls verwirren kann, sind die s-Laute: Hier musst du beachten, dass Kombinationen wie „st“ oder „sp“ nicht wie im Neuhochdeutschen mit einem sch-Laut realisiert werden, sondern eben wortwörtlich mit „s“. Ein Beispiel dafür findet sich in Vers 778 mit dem Substantiv „stunt“, das wir heute als „Stunde“ aussprechen. Die gleiche Regel gilt übrigens auch für die Buchstabenkombinationen „sl“, „sm“, „sn“ und „sw“.

sch-Laute

Natürlich gibt es aber auch im Mittelhochdeutschen sch-Laute, diese werden dann als „sk“, „sc“, „sh“ oder eben „sch“ wiedergegeben. In meiner Textfassung des „Erec“ findet sich nur die Variante mit „sch“, zum Beispiel bei „schefte“ (V. 780), in anderen Fassungen könnte hier aber auch durchaus „scefte“ oder „shefte“ stehen.

Sonderfall "z"

Auch der Buchstabe „z“ hat einen kleinen Stolperstein parat: Er kann sowohl – wie auch heute noch – für ein affrikates „ts“ stehen, wie beispielsweise in „zorn“ (V. 760) oder aber ein stimmhaftes [z] wiedergeben, wie in „grôzer“ (V. 760). Ersteres gilt für das „z“ im Anlaut, Letzteres findet sich innerhalb einer Silbe oder am Wortende.

Sonderfall "h"

Eine ähnliche Regel findet sich auch für das „h“: Steht ein „h“ vor einem Vokal, wird es zu einem gehauchten „h“, wie in „houbet“ (V. 770). Am Wortende und vor einem Konsonanten wiederum wird „h“ zum Reibelaut, man vergleiche „hehsen“ (V. 776).

Extra-Tipps

Und dann gibt es noch ein paar kleine Aussprache-Tipps, die dir helfen werden, Verwirrung vorzubeugen:

Die Buchstaben <k> und <c> werden beide wie ein /k/ gesprochen.

Die Buchstaben <f> und <v> werden beide als /f/ realisiert.

Und <ph> sowie <pf> werden jeweils als /pf/ gesprochen.

Wie auch im Neuhochdeutschen gilt beim Mittelhochdeutschen der germanische Initialakzent. Ein Wort wird also immer auf seiner Kernsilbe betont.

Außerdem kann es in mittelhochdeutschen Texten dazu kommen, dass ein auslautender Vokal auf einen anlautenden trifft, beispielsweise im Falkenlied des Kürenbergers, wo es heißt: „Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.“ Das auslautende „e“ von „danne“ wird hierbei verschluckt. Das nennt man Elision.

Übung

So, aber nun zur Praxis. Und dafür habe ich ein ganz besonderes Textbeispiel für dich!

Der Mediävist Helmut Birkhan hat gemeinsam mit Edition Tintenfaß eine mittelhochdeutsche Version von Antoine De Saint-Exuperys "Der Kleine Prinz" veröffentlicht und das Ergebnis ist wirklich großartig. In Zusammenarbeit mit Editon Tintenfaß präsentiere ich dir hier daher einen kurzen Ausschnitt aus "Daz prinzelîn" - Und wenn dich der Text neugierig macht, dann schau' doch mal auf der Seite des Verlags vorbei und bestelle dir ein Exemplar! Wenn du dabei den Code: "Germanistiker" angibst, unterstützt du zusätzlich mich und meine Arbeit! Vielen Dank <3

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Daz prinzelîn

Ir sît schoene, iedoch ir sît laere“, sprach er danne. „Man enmac vür iu niht sterben. Gewisse, diu mîne rôse, ein ieman, der eteswa vüre gât, künde glouben, daz sich miniu rôse iuch glîche. Iedoch in sich selben ist siu maerer danne ir alle, sît siu ez ist, diech begôz. Sît siu ez ist, diech under die glocke von glase stalte. Sît siu ez ist, diech mit dem wantschirm schutzte. Sît siu ez ist, der rûpen ich ertôte [ez ensî zwô ode drîe vîvalterhalp]. Sît siu ez ist, diech klagen ode prâlen hôrte ode eteswenne ouch swîgen. Sît siu mîniu rôse ist.“

Und er kêrte aber zem vuhse:

„Adê“, seiter…

„Adê“, seite der vuhs. „Hier ist mîniu geheime. Ez ist vil einvaltec: man siht niuwan mit dem herzen wol. Der kerne ist vür diu ougen ungesihtec.

(Daz prinzelîn, Helmut Birkhan, S. 72f.)

Fazit

Mittelhochdeutsch ist wirklich eine ganz besondere Sprachstufe, von der wir noch heute viel über unsere Sprache lernen können. Mal abgesehen davon, das es einfach wundervoll klingt!

Wenn dir das allerdings alles viel zu historisch war, dann empfehle ich dir auch mein Video zum Thema "Wie klingt Deutsch in 1000 Jahren?" - Da schauen wir uns mal die andere Richtung an.

Ansonsten schau' doch gerne mal auf meinem YouTube-Kanal vorbei: https://www.youtube.com/@DerGermanistiker ;-)

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Uns ist in alten mæren wunders vil geseit

von helden lobebæren, von grôzer arebeit,

von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,

von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.

(Nibelungenlied, 13. Jh.)

Êrecke dem jungelinge

gezam vil wol sîn ritterschaft:

sîn ellen gap im grôze kraft.

si ruorte beide ein grôzer zorn.

diu ros si nâmen mit den sporn:

dô sach man schenkel vliegen.

dô begunde jenen triegen

sîn hôchvertiger wân:

er wânde ein kint bestanden hân.

zesamene liezen si strîchen.

dô bevant er waerlîchen

daz Êrec degenes ellen truoc.

mit der tjost er im sluoc

den schilt an daz houbet.

dâ von wart er betoubet

daz er kûme gesaz.

vil selten geschach im daz.

diu tjost wart sô krefteclich

daz diu ros hinder sich

an die hehsen gesâzen.

der muote was erlâzen

der ritter Îdêrs unz an die stunt:

diu wart im sît garwe kunt.

die schefte vlugen in von der hant

zebrochen über des schiltes rant.

(V. 757-781, Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung von Thomas Cramer)