So hießen Verwandte früher!
Oheim, Eidam, Base: Woher kommen diese Wörter und was bedeuten sie?
Nils Klinke
3/2/2025
Alte deutsche Verwandtschaftsbezeichnungen
Wenn du auch immer nicht so ganz durchblickst, wer jetzt nochmal wie und mit wem über wie viele Ecken verwandt ist, dann bist du hier genau richtig! In diesem Blogeintrag stelle ich dir alte deutsche Verwandtschaftsbezeichnungen vor und erkläre dir, woher solche Begriffe wie „Eidam“, „Oheim“ oder „Base“ eigentlich kommen…
Der Ursprung der Familie
Vater, Mutter, Kind – An diesem Konzept der Kernfamilie hat sich seit Jahrtausenden nicht viel geändert. Als unsere Vorfahren im Zuge der Neolithischen Revolution vor knapp 10.000 Jahren endlich sesshaft werden, ändern sich auch die gesellschaftlichen Strukturen der frühen Menschheit: Hatte vorher eine gleichberechtigte Gesellschaft aus Jägern und Sammlern die Erde bevölkert, etabliert sich im sogenannten Fruchtbaren Halbmond Vorderasiens erstmals eine patriarchale Ordnung. Diese vom Vater dominierte Gesellschaftsstruktur spiegelt sich auch in der frühesten Vorgängersprache des Deutschen wider: Dem Indogermanischen.
Dort entstehen etwa 2500 v. Chr. neue Bezeichnungen für Vater, Mutter, Tochter, Sohn und so weiter. Diese urindogermanischen Begriffe schlagen sich bis heute in den Tochtersprachen des indoeuropäischen Sprachraums nieder. So wird beispielsweise aus dem protoindoeuropäischen „*ph₂tér-“ – Ehrlich gesagt keine Ahnung wie man das ausspricht, da ist sich selbst die Forschung unsicher – das altgriechische „πατήρ“, das lateinische „pater“, das spanische „padre“, das englische „father“ oder eben das deutsche „Vater“.
Wie hießen Verwandte früher?
So weit, so unspektakulär. Aber wie sieht es mit dem erweiterten Verwandtenkreis aus? Onkels, Tanten, Großeltern und Schwäger spielten bis zum allmählichen Verschwinden der Großfamilie im 20. Jahrhundert eine große Rolle im familiären Gefüge – Und wurden mit allerlei verrückten Namen und Bezeichnungen versehen. Ich habe mich einmal quer durch die Geschichte der deutschen Sprache gewälzt und dir die interessantesten alten und ausgestorbenen Verwandtschaftsbezeichnungen zusammengestellt.
Großvater und Großmutter
Gehen wir zuallererst mal eine Generation weiter: Die Begriffe „Großvater“ beziehungsweise „Großmutter“ gibt es bereits seit dem 14. Jahrhundert. Sie entstanden wohl als Lehnübersetzung aus dem französischen „grand-père“ und verdrängten im Mittelalter die vor allem in Süddeutschland populären Bezeichnungen „Ahn“ bzw. „Ahne“. Diese beiden Wörter, die man auch ganz allgemein als „Vorfahre“ übersetzen kann, existierten schon in althochdeutscher Zeit („ano/ana“) und finden sich noch heute in dem Begriff „Enkel“.
Neffe
Dieser entstand ebenfalls in althochdeutscher Zeit als Diminutivbildung, also Verkleinerungsform von „Ahn“, und konkurrierte bis ins 16. Jahrhundert hinein noch mit dem heute an anderer Stelle gebrauchten Wort „Neffe“.
„Neffe“ wiederum kommt vom althochdeutschen „nevo“ und bedeutete ursprünglich „Sohn des Bruders oder der Schwester“, allgemein „Verwandter“ oder eben – wie das verwandte lateinische Wort „nepos“ – „Enkel“. Im Mittelhochdeutschen kommt zusätzlich die Bedeutung „Mutterbruder“, also „Onkel“, hinzu. Erst seit dem 18. Jahrhundert sind Neffe und Nichte in ihrer heutigen Verwendung geläufig.
Onkel und Tante
Die Wörter „Onkel“ und „Tante“ wiederum stammen vom lateinischen „avunculus“ beziehungsweise „amita“ ab und gelangten erst im 18. Jahrhundert in das Deutsche. Dabei verdrängten sie die bis dahin heimischen Begriffe, welche noch stärker zwischen den Geschwistern der Mutter oder des Vaters unterscheiden.
Die Wörter „Oheim“ beziehungsweise „Ohm“ für den Onkel mütterlicherseits und „Vetter“ für den Onkel väterlicherseits gibt es jeweils schon im Althochdeutschen. Vetter lässt sich dabei einfach von dem Wort „Vater“ ableiten und konnte auch ganz allgemein für einen männlichen Verwandten verwendet werden. Oheim wiederum stammt wohl vom germanischen „awaheima-“, das sich aus einer Bezeichnung für den Großvater, lateinisch „avus“, und dem germanischen Adjektiv „*haimaz“, also „vertraut“, zusammensetzt. Der Oheim war also einer, der dem Großvater oder der Großmutter vertraut war.
Demgegenüber stehen die altdeutschen Begriffe „Muhme“ für eine Tante mütterlicherseits und „Base“ für eine Tante väterlicherseits. Die „Muhme“ entstand wohl aus dem Lallwort „Mama“ und ist schon im Althochdeutschen bezeugt. Auch damals schon ist sie die „Schwester der Mutter“ oder allgemein eine „weibliche Verwandte“. Die „Base“ wiederum kommt ebenfalls aus dem Althochdeutschen, nämlich vom Substantiv „basa“ bzw. „wasa“. Wie dieses Wort jedoch genau entstanden ist, ist unklar.
„Moooooment“, wirst du dir jetzt vielleicht denken. „Base, Vetter… Das kenne ich eigentlich als Cousine und Cousin. Sag mal, willst du mich eigentlich komplett vera*schen?!“
Cousin und Cousine
Ich gebe zu, du hast nicht unrecht. Allgemein lässt sich häufig beobachten, dass ältere Verwandtschaftsbezeichnungen im Laufe der Zeit eine Generation verrutschen. Dieses Phänomen haben wir ja zum Beispiel schon bei dem Begriff „Neffe“ beobachtet, der ursprünglich „Enkel“ bedeutete. Auch „Vetter“ und „Base“ sind erst in neuerer Zeit von der Eltern- in die Kindergeneration gerutscht, bis sie schließlich im 17. Und 18. Jahrhundert zunehmend von den französischen Wörtern „Cousine“ und „Cousin“ verdrängt wurden. Diese wiederum gehen zurück auf das lateinische „consobrinus“, was so viel wie „Geschwisterkind“ bedeutet. Hier hat also statt eines Generationenwechsels eine Verschiebung im Verwandtschaftsgrad stattgefunden.
Schwiegermutter und Schwiegervater
Ziehen wir den Kreis noch größer und betrachten wir die – mal mehr und mal weniger – liebe Schwiegerfamilie. Das Wort „Schwieger“ gab es übrigens schon im Indogermanischen, wo es die weibliche Entsprechung zu männlich „Schwager“ war, also „Schwiegermutter“ und „Schwiegervater“.
Merkst du was? Auch hier haben wir wieder diese Generationenverschiebung. Immerhin bezeichnet man als Schwager heutzutage einen angeheirateten männlichen Verwandten.
Bis ins 16. Jahrhundert waren „Schwager“ und „Schwieger“ als selbständige Worte geläufig, der Zusatz „-mutter“ beziehungsweise „-vater“ kam erst später hinzu. Ursprünglich kommt „Schwieger“ vom althochdeutschen „swigar“ und bedeutet so viel wie „des Mannes Mutter“. Ausgestorbene Synonyme wären „Schwäher“ oder „Schwieher“.
Schwager
„Schwager“ wiederum gehört zum althochdeutschen „swâgur“ und bezeichnete bis ins 18. Jahrhundert jeden angeheirateten männlichen Verwandten. Heute meint man damit explizit den Mann meiner Schwester oder den Bruder meines Partners oder meiner Partnerin.
Schwiegersohn
Den Schwiegersohn wiederum nannte man früher noch „Eidam“. Das kommt vom althochdeutschen „eidum“ und meinte ursprünglich ebenfalls den Schwiegervater. Denkbar wäre eine Übersetzung als „einer, der am Erbe der Tochter teilhat“. Da Wort Eidam kennt man heute wohl nur noch als alten Dramen.
Schwiegertochter
Die Schwiegertochter schließlich wurde früher als „Schnur“ oder „Söhnerin“, also „Frau des Sohnes“ bezeichnet. Diese Begriffe sind allerdings schon lange ausgestorben.
Gerade noch verwandt...
So langsam lichtet sich das Feld der Verwandten, Bekannten und Schwippschwäger. Daher hier noch ein paar interessante Infos im Schnelldurchlauf:
Das Wort „Schwippschager“ ist noch relativ neu und wird erst seit dem 19. Jahrhundert gebraucht, um den Ehemann der Schwägerin zu bezeichnen.
Statt „Nichte“ sagte man bis ins 17. Jahrhundert noch vorwiegend „Niftel“, was der weiblichen Form von „Neffe“ entspricht und noch aus dem Germanischen stammt. Ich finde dieses Wort ja ziemlich süß, ehrlich gesagt 😊
Auch für Taufpatinnen und -paten gab es früher eine ganze Reihe von Bezeichnungen, die heute größtenteils unbekannt sind. So gab es früher vor allem in Süddeutschland und Österreich Begriffe wie „Dot/Dötin“ oder „Godel/Göttel“.
Selbst Geliebte erfreuten sich früher eigenen Begrifflichkeiten: So existiert das Wort „Kebse“ schon seit germanischer Zeit als Bezeichnung für eine nicht angetraute Nebenfrau, die im 15. Jahrhundert allerdings größtenteils verschwindet.
Und wo wir schon beim Thema unehelicher Liebesbeziehungen sind: Hast du dich schon mal gefragt, woher der Ausdruck „mit Kind und Kegel“ stammt? Naja, ein „Kegel“ war im Mittelalter das Kind einer Kebse, also ein unehelicher Nachkomme.
Warum sind diese alten Wörter ausgestorben?
Der Grund dafür, dass heute viele alte Verwandtschaftsbezeichnungen zu großen Teilen ausgestorben sind, liegt wohl im starken Rückgang der Großfamilie in unserer heutigen Gesellschaft. Früher waren Familien noch als Geschlecht und Sippe organisiert, vom uralten Stammesvater über sämtliche Onkels und Tanten, Cousins und Cousinen bis hin zum jüngsten Enkelkind. Der familiäre Zusammenhalt war Erfolgsrezept und Lebensversicherung einer sich entwickelnden Gesellschaft. Tatsächlich wurde der Begriff „Familie“ erst im 15. Jahrhundert aus dem Lateinischen entlehnt – Das zugrundeliegende Wort „famuli“ bedeutet übrigens „Diener“ und impliziert, dass früher sogar die Hausangestellten zur „Familie“ zählten.
Fazit
Auch heute noch ist die Familie ein wichtiges soziales Gefüge, vor allem für Kinder, die über die verschiedenen Verwandtschaftsbezeichnungen im familiären Umfeld zum ersten Mal in Kontakt kommen mit gesellschaftlichen Rollen und Normen. Allerdings verliert die detaillierte Unterscheidung von Verwandten der Mutter oder des Vaters und die Kenntnis jedes noch so entfernten Verwandtschaftsgrades zunehmend an Bedeutung. Was bleibt, ist die Erinnerung an viele wundervolle, alte Wörter, die auch heute noch ihren ganz eigenen Charme besitzen…
Wenn du jetzt Lust bekommen hast, dich noch näher mit der deutschen Sprache zu beschäftigen, dann kann ich dir mein letztes Video wärmstens ans Herz legen. Dort habe ich die ganze Geschichte des Deutschen kurz und einfach für dich zusammengefasst.
Ansonsten schau' doch gerne mal auf meinem YouTube-Kanal vorbei: https://www.youtube.com/@DerGermanistiker ;-)



